Gustav, 18 Jahre

Ich kann mich an ein Zusammenleben mit meinem Vater nicht erinnern. Schon als ich ganz klein war, war er sehr wenig zu Hause. Meine Mutter erzählte, ich habe oft an der Haustür gestanden und auf ihn gewartet und nach ihm gefragt. Als ich 2 Jahre alt war, zogen meine Mutter und ich in eine eigene Wohnung am Stadtrand. Mein Vater wohnte dann noch ein paar Jahre im Stadtzentrum. Als ich in die 2 Klasse kam, zog ich mit meiner Mutter zu ihrem neuen Lebensgefährten in die Region und mein Vater auf die gegenüberliegende Seite der Stadt. So wohnten wir nun ca. 60 km auseinander.

Ich war jedes zweite Wochenende bei meinem Vater. Eigentlich wollte ich gerne Zeit mit ihm verbringen, aber wenn ich dann da war, unternahm er meist nichts mit mir. Dann waren wir nur „zuhause“, sodass ich oft für mich alleine in meinem Zimmer spielte. Manchmal ging er auch zum Sport oder so. Er wollte, dass wir „das ganz alltägliche Leben einer Familie“ lebten. Wir hatten aber keinen Alltag! Er wollte, dass ich sein zuhause auch als zuhause empfinde. Das fühlte ich aber nicht, da ich ja nur alle 14 Tage mal da war, dort keine Freunde, keine Hobbies hatte und seine neue Frau, mit der ich mich gut verstand, eben nicht (wie) eine Mutter für mich war. Auch als die beiden meinen kleinen Bruder bekamen, den ich sehr mag, fühlte es sich für mich immer so an, als wäre ich nur dabei und gehörte nicht dazu – es war nie „meine Familie“. Oft wollte ich dann gar nicht zu meinem Vater. Wenn ich das sagte, war mein Vater wütend und stritt sich mit meiner Mutter, dass ihm das Wochenende mit mir zustünde und er ein Recht auf die Zeit mit mit hätte. Deshalb sagte ich dann lieber, dass ich Bauchschmerzen hätte, dann konnte ich wieder nach Hause oder musste gar nicht erst von dort weg. Aber ich hatte dann immer ein total schlechtes Gewissen meinem Vater gegenüber und fühlte mich irgendwie schuldig. Und als mein kleiner Bruder auf der Welt war, nutze mein Vater auch ihn als Argument, dass ich zu ihm kommen sollte, da mich mein Bruder vermissen würde… Dann hatte ich zusätzlich auch noch meinem kleinen Bruder gegenüber ein schlechtes Gewissen.

Er rief mich auch jeden Tag an. Das war ja nett gemeint, aber ich hatte meistens gar keine Lust, mit ihm zu sprechen und so graute mir jeden Tag regelrecht vor seinem Anruf.

Zu Hause war es aber auch nicht leicht. Meine Mutter hat mit ihrem Mann noch drei Kinder bekommen. Ich liebe meine Geschwister sehr, aber habe auch hier das Gefühl, nicht richtig dazu zu gehören.

Heute habe ich kaum noch Kontakt zu meinem Vater. Ich finde das sehr schade, da ich ihn nach wie vor sehr mag und mit ihm gerne über viele Dinge sprechen würde – aber eben dann, wann es mir (bzw. uns beiden) passt und ohne den Zwang, dass ich muss oder sonst ein schlechtes Gewissen habe. Wir hätten viel mehr von einender gehabt, wen er sich einfach mal mit mir verabredet hätte, um mit mir einen Kaffee (oder ein Bier) trinken oder auch eine Pizza o.ä. essen zu gehen. Dann hätten wir wirklich Zeit füreinender gehabt und ich hätte ihm gerne vieles erzählt. Das würde ich auch heute noch gerne tun.

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